Sagen


Eine Traditionelle Sage aus Ziegenort

Die Jungfrau im Ziegenorter Forst.

In dem Ziegenorter Forst zwischen Stettin und Uckermünde sah man in früheren Zeiten oft eine weiße Jungfrau sitzen, die laut weinte und durch den Wald klagte. Sie saß gewöhnlich an einem kleinen Bache, der dort unten im Thale fließt. Sie war dorthin gebannt worden, und konnte nicht anders erlöset werden, als wenn Jemand sie am St. Johannistage durch den Bach trug. Sie hat viele, viele Jahre hierauf warten müssen, und manchen Johannistag hörte man ihre Klagen und Bitten um Erlösung an die Vorübergehenden durch den Wald schallen. Alle, die da vorübergingen, und sie sahen und hörten, fürchteten sich vor dem Zauber, und wagten nicht heran zu gehen, sondern machten, daß sie eilig von dannen kamen. Zuletzt an einem St. Johannistage war einstmals ein Jäger an dem Bache eingeschlafen. Wie der um Mittag aufwacht, da sieht er die Jungfrau vor sich stehen; sie hatte wunderschöne Augen, und sie weinte und klagte bitterlich über ihr großes Elend, und bat ihn, daß er sie durch die Fuhrt tragen möge. Da wurde der Jäger gerührt; er faßte sich ein Herz, nahm sie auf seinen Arm und trug sie eilends durch die Wellen des kleinen Baches. Und als er sie an der anderen Seite auf das grüne Ufer legt, da war plötzlich der Zauber gelöset, und die Jungfrau verschwunden. Aber an der Stelle, wo sie ihm erschienen war, sah der Jäger jetzt einen großen, unermeßlich reichen Schatz liegen, den die Jungfrau hatte verwahren müssen. Den nahm er zu sich, und er wurde für sein Leben lang ein reicher Mann.

Man erzählt auch, daß, einige Zeit vor ihrer Erlösung durch den Jäger, an einem Johannistage ein Bauer mit einem Fuder Holze bei ihr vorbeigekommen sey. Den hat die Jungfrau freundlich angeredet mit den Worten:

Lod av din Foder Holt!
Lod up en Foder Gold!
Drag mi hier dör davon,
Soll ok nich schwere gon!

Der Bauer hat aber keine Lust gehabt, sondern ihr erwidert:

Dat Gold kann mi nich raken,
Na kort mot ik't verlaten,
Do helpt ken hoher Mod,
Wann kümmt de bittre Dod!

Darauf ist denn die Jungfrau unter vielen Wehklagen verschwunden.


Freyberg, Pommersche Sagen, S. 10-13.
Acten der Pomm. Gesellschaft für Geschichte.

Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 208


Der Klabautermann eine Sage aus Pommern

Der Kalfater oder Klabatermann.

In Pommern erzählt man sich Folgendes: Sobald ein neues Schiff fertig und von seiner Mannschaft in Besitz genommen ist, zieht in dasselbe auch ein kleiner Geist ein. Die Schiffer nennen ihn den Kalfater oder Klabatermann. Er ist ein guter Geist, sowohl für das Schiff als für die Mannschaft. Gesehen haben ihn nur Wenige, denn es ist ein Unglück für den, der ihn sieht. Die ihn gesehen haben, sagen, er sey kaum zwei Fuß groß; er soll eine rothe Jacke, weite Schifferhosen und einen runden Hut tragen. Andere aber sagen, daß er ganz nackt sey. Je weniger man ihn sieht, desto öfter kann man ihn im Schiffe hören. Denn für dieses sorgt und mühet er sich ohne Unterlaß. Er hilft im Raum die Ballen nachstauchen, er kalfatert das Schiff da, wo kein Mensch zukommen kann, woher er auch den Namen hat. Wenn der Schiffer in der Kajüte eingeschlafen ist, das Schiff aber von Gefahr bedrohet wird, dann fühlt er sich plötzlich vom kleinen Klabatermann angestoßen, daß er erwacht und auffährt, und nun geschwinde anordnet, was zur Abwendung der Gefahr nöthig ist. Die Schiffsleute wissen recht gut, daß dies alles der kleine Kalfater thut. Sie sagen auch nicht anders als: Hörst du wohl, da ist er wieder! wenn sie ihn unten im Raume oder draußen an den Planken handthieren hören.

Die Matrosen suchen sich gut mit ihm zu halten; denn den flinken Matrosen hilft er, wo sie irgend eine Arbeit haben, daß sie frisch und gut von der Hand geht. Er sorgt dafür, daß die Taue beim Einrahmen der Segel auch beim schärfsten Winde nicht schlenkern; er erleichtert ihnen die halbe Arbeit beim Aufhissen der Anker. Und wenn ein flinker Bursch von einem Schiffe auf ein anderes abgeht, dann giebt ihm der Klabatermann ein Zeichen mit, woran ihn der Klabatermann des anderen Schiffes kennt, damit der ihm eben so gut und helfend sey. Die faulen und trotzigen Matrosen dagegen zwickt und quält er, und thut ihnen allerlei Tort an, bis sie zuletzt flink und fleißig werden. Und wenn Alles nicht hilft, so zeigt er sich ihnen zuletzt und schneidet ihnen Gesichter zu. Dann ist es aber auch aus mit ihnen; denn wer den Klabatermann mit leiblichen Augen sieht, dessen letztes Stündlein hat geschlagen. Die Matrosen thun ihm daher Alles zu Gefallen, und setzen ihm oft des Nachts von ihrem Lieblingsessen hin. Von wem er so etwas annimmt und gegessen hat, dem ist er gar absonderlich gut.

Besonders laut und rührig ist der Kalfater, wenn Sturm kommt oder das Schiff sonst in große Gefahr geräth. Man hört ihn dann an allen Ecken und Kanten; er sorgt für Alles und hilft bei Allem.

Dieser Geist, wenn er einmal in ein Schiff eingezogen ist, weicht von demselben nicht wieder, als bis es zu Grunde geht. Wenn er das aber merkt, und wenn er einsieht, daß trotz aller Mühe und Arbeit das Schiff nicht mehr zu retten ist, dann verläßt er es endlich. Auch hierbei zeigt er noch seine Freundschaft für das Schiffsvolk; denn, da man ihn nicht sehen kann, so steigt er so hoch er kann, und stürzt sich dann von oben her mit großem Geräusche vom Schiff in das Wasser, damit man ihn hören könne. Einige sagen, er steige bei solcher Gelegenheit auf die äußerste Spitze des Boogsprits, und springe von dort her in die See. Wer ihn aber dort sehe, mit dem sey es für immer aus.

Wenn nun der Klabatermann das Schiff verlassen hat, dann weiß das Schiffsvolk, daß es mit demselben ein Ende hat. Es legt jetzt Keiner mehr Hand an, denn Rettung des Schiffes ist nicht mehr möglich. Jeder sucht nur sich selbst zu retten, so geschwinde er kann; denn man weiß auch, daß der Klabatermann bis zum letzten Augenblicke bei dem Schiffe und bei der Mannschaft aushält.

Manche behaupten, daß nicht jedes Schiff einen solchen Kalfater habe; sondern daß ein solches Glück nur wenigen Schiffen zu Theil werde. Denn die Klabatermännchen sollen die Seelen von Kindern seyn, die todt geboren, oder sonst vor der Taufe gestorben sind. Wenn solche Kinder nun in einer Haide unter einem Baume begraben werden, und von einem solchen Baume irgend etwas zu dem Baue des Schiffes verwendet ist, dann geht mit dem Holze die Seele des Kindes als Klabatermännchen in das Schiff hinein. Die dies behaupten, sagen auch, daß ein solches Schiff, das einen Kalfater besitzt, niemalen zu Grunde gehen könne.

Einige sagen, daß man den Klabatermann auch ohne Gefahr zu sehen bekommen könne. Das muß man auf folgende Weise anfangen: Man muß nämlich des Nachts zwischen zwölf und ein Uhr allein zum Spillloch gehen, und sich selbst durch die Beine durch und so durch das Spillloch sehen; dann kann man den kleinen Geist erblicken, wie er an der Vorderseite des Spilllochs steht. Wenn man ihn dann aber nackt sieht, so muß man sich hüten, daß man nicht, etwa aus Mitleid, ihm Kleider zuwirft, womit er sich kleiden solle; denn das kann er nicht vertragen, er wird über solch Mitleid leicht böse, und meint, man wolle sich dadurch mit ihm abfinden.


Mündlich.

Die Volkssagen von Pommern und Rügen, J. D. H. Temme, Berlin 1840, Nr. 253